Wie mit "der Wissenschaft" Meinung manipuliert wird

„Die Wissenschaft hat festgestellt …“

20.05.2024 von Dr. med. Volker Schmiedel

„Da will ich sagen, dass ich glaube, dass wir gut daran tun, das, was uns die Wissenschaft sagt, … wirklich ernst zu nehmen.“ So tönte wörtlich unsere damalige Bundeskanzlerin in einer Plenarsitzung im ersten Corona-Jahr (Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 198. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 9.12.2020, Seite 11, https://dserver.bundestag.de/btp/19/19198.pdf). Ich war begeistert, denn ich bin ein großer Anhänger der Wissenschaft. Meine Begeisterung wich allerdings sehr rasch der Ernüchterung, denn offensichtlich hatten Frau Merkel und ich völlig andere Ansichten bezüglich dessen, was Wissenschaft eigentlich ist.

Doch was ist tatsächlich Wissenschaft? Fragen wir doch bei Wikipedia nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaft (aus dieser Quelle stammen die unten aufgeführten Zitate)

Und siehe da, es gibt gar keine einheitliche Definition, vielmehr werden verschiedene Möglichkeiten angeboten. Ja, super, da kann sich ja jeder etwas aussuchen. Aber schauen wir uns doch einmal spaßeshalber einige der angebotenen Definitionen an.

„Die Wissenschaft ist auch die Gesamtheit von Erkenntnissen und Erfahrungen, die sich auf einen Gegenstandsbereich beziehen und in einem Begründungszusammenhang stehen.“ So, hier haben wir also die Gesamtheit der Erkenntnisse. Aber das nennt man doch eigentlich Wissen und nicht Wissenschaft oder? Ist Wissenschaft nicht vielmehr so etwas wie die Lehre vom Wissen, wie man Erkenntnisse gewinnt und einordnet?

Politik hypet willkommene Erkenntnisse als "die Wissenschaft"

„Zudem bezeichnet Wissenschaft auch die Gesamtheit der wissenschaftlichen Institutionen und der dort tätigen Wissenschaftler.“ Wissenschaft ist die Gesamtheit der Wissenschaftler? Aber Wissenschaftler sind doch die Ingenieure, etwas pathetischer vielleicht sogar die Schöpfer von Wissenschaft – und nicht die Wissenschaft selbst. Aber immerhin finde ich diese Definition naheliegend, wenn ich an Frau Merkel denke. Ich maße mir jetzt natürlich an, unsere ehemalige Bundekanzlerin zu interpretieren, aber vielleicht meinte sie gar nicht, dass wir dieses Mal zwar nicht direkt auf die Wissenschaft, aber immerhin auf die Wissenschaftler hören sollen – wer immer damit gemeint war. Und praktischerweise hat sie (oder ihre Berater) sich selbst die Wissenschaftler ausgesucht, auf die man hören wollte.

So hat es zumindest den Anschein, wenn man den Verlauf der Pandemie-Jahre rückblickend betrachtet. Ich will nun gar nicht die Reputation der ausgewählten Wissenschaftler bezweifeln, aber im internationalen Vergleich ist halt ein Drosten von der Charité im Vergleich zu einem Ioannidis von der Stanford University ein Zwerg im Vergleich zu einem Riesen. Auf einen Drosten, der einen selbst sehr rasch zusammengeschusterten Test phantastisch vermarktete, hat sich eine Frau Merkel verlassen, nicht aber auf Kritiker dieses Testes gehört, die damals schon vehement gewarnt haben, dass ein PCR-Test bei einer viralen Atemwegsinfektion als Screening-Test völlig ungeeignet ist. Aber auf diese Wissenschaftler wurde eben nicht gehört, diese Sichtweise der Wissenschaft wurde völlig ausgeblendet.

Wissenschaft ist Methodik und Diskussion - und kein Wahrheitstribunal

„Wissenschaft bezeichnet auch den methodischen Prozess intersubjektiv nachvollziehbaren Forschens und Erkennens in einem bestimmten Bereich, der nach herkömmlichem Verständnis ein begründetes, geordnetes und gesichertes Wissen hervorbringt.“ Hier wird also die Wissenschaft als Methodik dargestellt, als Instrument, Wissen zu generieren und einzuordnen. Ok, das ist jetzt meine subjektive Meinung, aber genau das verstehe ich persönlich unter Wissenschaft. Wissenschaft ist damit eine Sammlung von allgemein in der wissenschaftlichen Gemeinde (die Summe aller Wissenschaftler) anerkannten Methoden, Hypothesen zu verifizieren oder zu falsifizieren. Und genau dieser Disput in der Wissenschaft hat mir in den letzten vier Jahren gefehlt. Zu allen Zeiten hatten Wissenschaftler unterschiedliche Ansichten von der Beschaffenheit der Welt im Ganzen und was diese zusammenhält bis hin zu einzelnen Detailfragen. Nur der fair ausgetragene wissenschaftliche Streit garantiert, dass sich die Spreu vom Weizen trennt. Es hat lange gedauert, aber während vor ein paar Jahrhunderten die überwiegende Mehrzahl aller Wissenschaftler (damals noch Gelehrte genannt) von der Erde als Mittelpunkt des Sonnensystems ausging, dürfte dieser Hypothese heute wohl nur noch eine extreme Minderheit anhängen.

Wissenschaftler mit "falscher" Meinung werden öffentlich "verbrannt"

Was mich am gesamten Umgang in der Corona-Krise so gestört hat, war die Darstellung von Hypothesen als unwiderlegbare Wahrheit, weil ein Großteil nicht aller, sondern der von der Politik zurate gezogenen Wissenschaftler eben dieser Überzeugung war. Eine Diskussion wurde nicht nur unterbunden, die Wissenschaftler mit anderer Meinung wurden sogar mundtot gemacht und in ihrer wenn schon nicht physischen, so doch materiellen Existenz bedroht. Ein solches Gebaren hat es in der Wissenschaft, die dann auch nicht mehr dieser Bezeichnung würdig ist, nicht mehr gegeben, seitdem Abweichler von der „reinen Lehre“ dem Scheiterhaufen der katholischen Inquisition überantwortet wurden. Ok, bei Galilei reichte nur die Androhung bestimmter Maßnahmen aus, um ihn auf Linie zu bringen. Sein verzweifelter Ausruf „Und sie (die Erde) dreht sich doch!“ rettete es dann auch nicht mehr.

Leopoldina: Wissenschaftsakademie liefert peseudowissenschaftliche Gefälligkeits-Statements

Wo aber waren die Wissenschaftler, die die Fahne einer echten, einer widersprüchlichen, einer streitbaren Wissenschaft aufrecht gehalten haben? Hier hat es ein kollektives Versagen gegeben, welches hoffentlich künftige Wissenschaftshistoriker gebührend brandmarken werden. Exemplarisch möchte ich dabei nur die Leopoldina erwähnen, eine ehrwürdige Gemeinschaft von Wissenschaftlern, der man nicht mal eben beitreten kann, wie einem Kaninchenzüchterverein, sondern man wird ehrenvoll dazu berufen. Da müssen doch die besten Wissenschaftler versammelt sein, die wir zu bieten haben. Weit gefehlt. Gerade dort wurde die Wissenschaft verraten und verkauft. Schande über diese pseudo-wissenschaftliche Vereinigung, die die Wissenschaft auf dem Altar der politischen Räson geopfert haben! Sie haben einfach die politischen Maßnahmen mit ihrer wissenschaftlichen Reputation legitimiert – ohne eigene wissenschaftliche Erkenntnisse dazu vorzulegen. Damit hat sich die früher einmal ehrwürdige Leopoldina-Akademie zumindest in meinen Augen wissenschaftlich völlig disqualifiziert.

Wissenschaft spricht nie von "Wahrheit", sondern von Paradigma

„Wissenschaftliche Tätigkeit ist alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist.“ Auch die Jurisprudenz in Form des Bundesverfassungsgerichts meldet sich Wort. Es tut mir leid, aber mit dieser Definition vermag ich nun so gar nicht zu leben. Die meisten Wissenschaftler, die ich kenne, meiden das Wort „Wahrheit“ wie der Teufel das Weihwasser. Ganz einfach deshalb, weil die Wissenschaftler mit ihren „wahren Weltbildern“ immer wieder auf die Nase gefallen sind. Ein aristotelisches Weltbild wurde irgendwann einmal vom System der Newtonschen Gesetze abgelöst. Dieses war so erfolgreich, dass auf deren Basis neue, bisher unbekannte Planeten des Sonnensystems gefunden wurden. Aber die Erkenntnisse eines Einstein zeigten die Grenzen dieses Weltbildes auf und erweiterten es um die Relativitätstheorie, die Phänomene zu erklären vermochte, für die Newton keine Lösung hatte. Doch auch ein Einstein musste erkennen, dass die Quantenmechanik eine unvermeidliche Erweiterung seines Weltbildes darstellt, auch wenn er sie nicht gerade liebte.

"Die Lehrmeinung von heute ist der Kunstfehler von morgen"

Was der Physik recht ist, ist der Medizin nur billig. Wir beobachten hier so viele Änderungen der Lehrmeinungen, dass ironisch, aber völlig treffend die Lehrmeinung von heute als der Kunstfehler von morgen bezeichnet wird. Seriöse Wissenschaftler und Mediziner reden daher weniger von Wahrheiten, denn solche gelten ja als absolut und ewig. Es ist vielmehr von Paradigmen die Rede. Ein Paradigma bezeichnet nach Thomas S. Kuhn wissenschaftshistorisch die Gesamtheit von Grundauffassungen, die zu einer bestimmten Zeit eine wissenschaftliche Disziplin ausmachen. Solche Paradigmen können Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte Gültigkeit haben (denken wir nur an das oben erwähnte geozentrische, welches dann vom heliozentrischen Weltbild abgelöst wurde, welches inzwischen aber auch als obsolet gilt, da die Sonne sich in den Randbezirken einer von Milliarden von Galaxien im Universum befindet). In der Medizin erleben wir gerade den Übergang von einem linearen Ursache-Wirkungs-Denken zu einer komplexen holistischen Sichtweise (auch wenn die Widerstände aus dem medizinisch-industriellen Komplex hier immer noch sehr stark sind).

Von internationalen Interessen vereinnahmt, wird Wissenschaft zur Religion - und Religion zur Wissenschaft

In meinem gerade zu Ende gegangenen Urlaub hatte ich endlich mal Zeit, mir einen Klassiker im englischen Original zu Gemüte führen zu dürfen, und zwar die „Brave New World“ von Aldous Huxley, Original von 1932, 23. Auflage, Published by Vintage. Ich möchte jetzt nicht ausführlich darauf eingehen, dass ich in diesem Buch für mich einfach erschreckende Parallelitäten zur gerade jetzt erlebten Gegenwart gefunden habe. Vielmehr fand ich einige zur heutigen Zeit passende Wissenschaftsdefinitionen von einem der zehn World Controller (warum muss ich da ausgerechnet an Davos denken?) Mustapha Mond: „Science is dangerous; we have to keep it most carefully chained and muzzled.“ Seite 198 („Wissenschaft ist gefährlich; wir müssen sie sorgfältigst angekettet und mit einem Maulkorb versehen halten.“) sowie „I`m interested in truth, I like science. But truth´s a menace, science is a public danger.“ Seite 200 („Ich interessiere mich für die Wahrheit, ich mag die Wissenschaft. Aber die Wahrheit ist eine Bedrohung, die Wissenschaft ist eine öffentliche Gefahr.“).

Was können wir aus diesen vielleicht etwas langatmigen Ausführungen folgern:

  • Wissenschaft ist wichtig zur Erkenntnisgewinnung als Basis von politischen, medizinischen und anderen Entscheidungen.
  • Es kann aber niemand sagen, was die Wissenschaft ist, da keine einhellig anerkannte Definition existiert.
  • Man muss aber auch wissenschaftliche Widersprüche diskutieren dürfen, da dies geradezu die Voraussetzung für wissenschaftliches Handeln ist.

Wenn ein solcher wissenschaftlicher Diskurs aber unterdrückt wird, dann bewegen wir uns nicht mehr frei auf dem Felde der unabhängigen Wissenschaft, sondern sind im Kerker einer dogmatischen Religion gefangen.

Genau das haben wir aber in den letzten Jahren erlebt. Ich wünsche mir für die nächsten Krise (egal ob Pandemien, Klima- oder andere Krisen), dass Bevölkerung, Politiker und vor allem die Wissenschaftler selbst wieder für eine freie und streitbare Wissenschaft eintreten!

Mit wissenschaftlichen Grüßen,

Dr. Volker Schmiedel

 

Der Artikel ist im aktuellen Newsletter von Dr. Schmiedel erschienen, der unter www.dr-schmiedel.de abonniert werden kann.

 

Dr. med. Volker Schmiedel ist seit rund 40 Jahren als Arzt tätig, davon 20 Jahre als Chefarzt in einer Klinik für ganzheitliche Medizin. Seit Oktober 2015 praktiziert und lehrt er im Ambulatorium Paramed in Baar in der Schweiz. Zudem ist er Mitherausgeber des „Leitfaden Naturheilkunde“ sowie einer der meistgelesenen Fachautoren naturheilkundlicher Bücher und Artikel für Therapeuten und Laien, unter anderem in den Bereichen Nährstoffe, Burnout, Diabetes und Cholesterin.

 

Bildquelle: Adobe Stock / Iryna

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