Bundesverfassungsgericht legitimiert Berufsverbote im Gesundheitswesen

Impfpflicht-Urteil: Justiz schützt Regierung vor Verfassung

23.05.2022 von Christian Zehenter

Um mit Gunnar Kaiser zu sprechen: "Es ist ein Kult." Dies gilt momentan für viele eigentlich lobenswerte, aber in ihr Gegenteil pervertierte öffentliche Ziele und Vorhaben. Aus einem Sozialstaat wird ein Erziehungs-, Für- und Vorsorgestaat. Denn der Staat und seine Eliten denken nicht nur für uns mit. Sie wissen auch, was mit Sicherheit das Beste für uns ist, und schreiben es uns aus dieser übermenschlichen Gewissheit gleich auch noch vor - ob in puncto Beruf, Gesundheit, Sprache, Straßenverkehr, Wirtschaft, Krieg oder Frieden. Denn was läge näher, als das Gute zu befehlen und das Böse zu verbieten, wenn man im Besitz der Wahrheit ist? In diesem Sinne sind Gehorsam und Moraldiktat Tugend - und Freiheit und Selbstbestimmung Teufelszeug. Dazu braucht es lediglich drei Dinge: einen paternalistischen Gesinnungs- und Obrigkeitsstaat (der folglich nicht an einen mündigen Bürger glaubt), eine Bevölkerung, die dies zulässt oder sogar fordert (und folglich auch selbst nicht an den mündigen Bürger glaubt) und willfährige Medien, die gleichlautende Jubelberichte über die elitären Narrative - vor allem Bedrohungs- und Heilserzählungen - liefern. Fertig ist das postdemokratische System, in dem alles möglich ist und jederzeit jede Pandemie, jeder Krieg und jede weitere Katastrophe ausgerufen werden kann - natürlich auf dem Fuße gefolgt von schmerzhaft-totalitären, aber leider notwendigen staatlichen Maßnahmen zu unser aller Wohl und Sicherheit. Dabei gibt es, wie der Bundeskanzler freimütig bekannte, keine roten Linien mehr.

Zweifelhafte Mittel zur "Stärkung der Demokratie"

So steht die Selbstbestimmung, Würde und körperliche Unversehrtheit ebenso zur Disposition wie Parlamentarismus, Gewaltenteilung, offene Grenzen und internationaler Frieden. Die angebliche Größe der Bedrohung rechtfertigt jeden Eingriff in Miteinander, Freiheit, Demokratie und Zivilisation. Zensur, Propaganda, staatliche Hetzkampagnen und die soziale Vernichtung Andersdenkender sind schon lange keine Tabus mehr, sondern opportune Mittel zur "Stärkung der Demokratie". So können aus Sicht vieler Menschen in Deutschland gar nicht genug Waffen in die Ukraine geliefert werden, um dort Unmenschen zu töten. Was die Panzerfaust-Pazifisten eint: Sie haben selbst nie eine Waffe abgefeuert und lassen lieber andere für ihren kriegerischen Moralismus leiden.

Gehorsamsdemonstration: Ungeimpfte Pflegekräfte werden zum neomarxistischen Exempel

Ähnliches gilt auch für das Thema Impfung. Hier werden Gesundheitsberufe für die neomarxistische Gesinnung (der Einzelne dient dem Kollektiv durch Gehorsam) wohlhabender Eliten in Geiselhaft genommen: Monate, nachdem für die meisten Menschen in Deutschland die Pandemiemaßnahmen (vermeintlich) der Geschichte angehören, schlägt der Staat hier erst richtig zu. So müssen Zigtausende in Gesundheitsberufen Tätige gerade um ihren Job fürchten. Denn sie sind nicht geimpft und wissen wie Kafka in seinem Prozess nicht, welches Tribunal wann, wo und warum über ihre berufliche Zukunft und Existenz entscheiden wird. Wie in einer Diktatur erhalten sie allmachtsschwangere Schreiben, die sie zur Rechtfertigung nötigen und für den Fall des Ungehorsams (der Rechtfertigung und Impfung betrifft) das Aussortieren aus ihrem Beruf in den Raum stellen - wobei das Gesundheitsamt alle Schritte offenlässt - die Adressaten also jener kafkaesken Ungewissheit überlässt, die häufig von mehr oder weniger heimlichem Mobbing im Betrieb begleitet wird. Während dem Großteil der Bevölkerung suggeriert wird, alle Maßnahmen seien vorbei, greift hier der Staat rigoros zu.

Repressalien schüchtern Richter und Gerichte ein

Doch zurück zu den Voraussetzungen der Postdemokratie: Die Regierung kann also Grundrechte heute ungehindert und ungestraft einschränken. Doch greift hier nicht die dritte Gewalt, die Gerichte? Sind sie nicht eine unabhängige und unbestechliche Säule der Demokratie, die den Staat bei totalitären Experimenten sicher in seine Schranken weist? Dies schien im Jahr 2020 für kurze Zeit so, als hohe Gerichte gegen den Willen der Regierung Demonstrationen erlaubten (wobei in Demokratien Demonstrationen immer erlaubt sind und nicht erst durch Gerichte genehmigt werden müssten), manche Branche wieder öffneten und manche rote Linie zogen. Auch im Frühjahr 2021, als ein Weimarer Amtsrichter den Masken-und Testzwang an Schulen aufhob, hätte man an unabhängige Gerichte glauben können. Nicht mehr allerdings in den Wochen darauf, als besagter Richter und weitere Beteiligte Repressalien bis hin zu Hausdurchsuchungen und öffentlichen Ächtungskampagnen erleiden mussten. Kein Jurist, der noch bei Sinnen war, wagte danach wieder solche Vorstöße, im Gegenteil.

Regierung wird vor der Verfassung geschützt

Das Bundesverfassungsgericht unter dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten und Merkel-Vertrauten Stephan Harbarth scheint nicht mehr die Verfassung vor der Regierung zu schützen, sondern die Regierung vor der Verfassung. Ohne Gutachten, mündliche Anhörung oder sonstigen Aufhebens erklärte des Gericht eine weitgehend wirkungslose und nebenwirkungsreiche Impfung als wirksam und nebenwirkungsarm und eine nicht (mehr) existierende Pandemie als Grund für einen körperlichen Eingriff, der durch die Verfassung verboten ist. Somit führten die Richter die Verfassung als Grund für einen Verfassungsbruch an und erklärten die berufsbezogene Impfpflicht für verfassungskonform - in einer Phase, in der sogar viele Klinikleitungen, Gesundheitsämter und Verbände die Absurdität der berufsbezogenen Impfpflicht ahnen: Nach aktuellen Daten scheint die Impfung nicht nur gut 40-mal so viele Nebenwirkungen hervorzurufen wie andere Impfungen (die vielen Erkrankten und Toten unter Profisportlern und das Anfluten junger Verstorbener bei Bestattern sind kaum noch zu verheimlichen), sondern die Virus-Verbreitung und -Infektion sogar zu begünstigen. Fest steht: Die Impfung verhindert weder Infektion noch Übertragung und ist somit unwirksam. Davon ist die "Karlsruher Stempelmaschine" (Boris Reitschuster) jedoch unbeeindruckt - und zeigt auch durch ihre Kommunikation, was sie von der Bevölkerung hält: Das Gericht informierte erst drei Wochen nach dem Urteil die Öffentlichkeit.

Urteil so vorhersehbar wie "die Meisterschaft in der Fußball-Bundesliga"

Reitschuster schreibt in seinem Artikel " 'Karlsruher Stempelmaschine' hat wieder alles abgestempelt": "Können sich die jüngeren Leser noch erinnern, wie spannend es früher war, wenn das Bundesverfassungsgericht zu umstrittenen Themen urteilte, wie die Regierung zittern musste, und wie oft die obersten Richter gegen Bonn bzw. Berlin entschieden? Heute ist vor einer Urteilsverkündung die Spannung in etwa so hoch, wie wenn Bayern München gegen den Buxtehuder SV spielt. Seit Angela Merkel mit dem vorherigen CDU-Fraktionsvize Stephan Harbarth einen engen Vertrauten mit den für die „Berechenbarkeit“ unerlässlichen dunklen Flecken in der Biographie als Präsidenten des Verfassungsgerichts durchdrückte und damit der Gewaltenteilung Hohn sprach, ist das oberste Gericht des Landes so vorhersehbar wie die Meisterschaft in der Fußball-Bundesliga. (...) Stellen Sie sich für einen Moment das Wehklagen der deutschen Politik und Medien vor, wäre so etwas aus Polen oder Ungarn zu berichten!"

Bindung an politische Weisungen, Richterämter nach Proporz

In ihrem Medienbericht "Das Verfassungsgericht beugt das Grundgesetz" stellt die DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld fest: "Mit dem Verfassungsgerichtsbeschluss wird eine der wichtigsten Lehren aus dem Missbrauch der Medizin im Nationalsozialismus kassiert, dass nie wieder Menschen gegen ihren Willen zu medizinischen Zwecken benutzt werden dürfen. In der politischen Bildung wird nach wie vor gelehrt, dass sich eine Demokratie durch Gewaltenteilung auszeichnet. Politik und Institutionen werden durch unabhängige Medien und eine unabhängige Justiz kontrolliert und damit in ihrer Macht begrenzt. Das schützt vor Willkür und Missbrauch. Eine Justiz ist aber nicht unabhängig, wenn die Staatsanwaltschaft politischen Weisungen unterliegt und Richterämter von den Parteien nach Proporz besetzt werden."

Realität wird politische Fiktion überholen

Dies bedeutet jedoch noch nicht die rigorose Umsetzung der berufsbezogenen Impfpflicht. Möglicherweise wird die Wende aus der Praxis kommen: Zunehmend wenden sich Kliniken und Verbände gegen die verfassungswidrige Impfpflicht. Denn ihre Einrichtungen können die Entlassung der eigenen Mitarbeiter ebenso schwer verkraften wie der Bürokratieapparat die Verwaltungs- und Gerichtsverfahren dieser Größenordnung. Immer bewusster wird selbst besorgten Menschen die Absurdität der Impfung in einer Zeit, in der das Virus davon unbeeindruckt durch die Gesellschaft läuft und zwei Dinge offenbart: Es ist weder tödlich noch durch Impfungen, Hygiene oder Kontaktbeschränkungen aufzuhalten. Wie so oft bekämpft der Mensch fiktive Bedrohungen mit fiktiven Lösungen - um dann stolz die Überwindung einer Bedrohung zu präsentieren, die nie bestanden hat, und den fatalen Folgen seiner Rettungsaktionen noch drastischere Eingriffe folgen zu lassen. Denn in der aktuellen Politik ist die Lösung das Problem.

 

Bildquelle: Adobe Stock / U.J. Alexander

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